Europäischer Föderalismus

Die Europäische Union ist an einem Punkt angekommen, an dem wir dringend über die weitere Zukunft reden müssen. Aus ursprünglich 6 Mitgliedsstaaten bei der Gründung der EGKS wurden bereits 12 bis zur Gründung der EU. Seither ist die Gemeinschaft weiter gewachsen und hat – nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs – mittlerweile 27 Mitglieder. Auf einer Fläche von über 4,2 Millionen km² wohnen, arbeiten und leben dabei fast 450 Millionen Bürger. Sie alle genießen besonderen Schutz und besondere Rechte. Es ist also auch an der Zeit, einen Schritt weiter zu denken und zu überlegen, wie sich Europa in den nächsten Jahrzehnten entwickeln sollte.

Es ist unnötig zu betonen, dass ein Zurück zu einzelnen und nicht verbundenen Nationalstaaten nicht sinnvoll ist. Das habe ich bereits hier angeschnitten. Aktuell haben wir Nationalstaaten, die nur locker miteinander verbunden sind und so recht mäßig zusammenarbeiten. Die EU ist ein großartiges Projekt, das Wohlstand und Fortschritt für die Mitgliedstaaten gebracht hat. Die Probleme, die ein Ende dessen mit sich bringt, sind in Großbritannien sichtbar. Konzentrieren wir uns als auf die unübersehbaren Vorteile und die Chancen.

Warum sollte Europa weiter zusammenwachsen?

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht ist die Unionsbürgerschaft ein wichtiger Bestandteil der EU. Die Bürger genießen verschiedene Rechte und haben (Stand heute) keine weiteren Pflichten. Zu den Rechten gehört nicht nur die Freizügigkeit und das Diskriminierungsverbot, die beide eine bedeutende Erweiterung der entsprechenden Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte darstellen. Wesentlich sind vor allem die demokratischen Grundrechte, die mit der Unionsbürgerschaft einhergehen, das Kommunalwahlrecht am Wohnort und das Wahlrecht zum Europäischen Parlament.

Mit diesen Rechten wird bereits festgelegt, dass Europa weiter zusammenwachsen soll. Die Mitbestimmung am eigenen Wohnort, der darüber hinaus auch frei wählbar ist, deutet bereits an, dass Nationalitäten keine wesentliche Rolle spielen müssen, wenn es um die Politik in nächster Nähe geht. Es ist daher auch nur logisch, dass dieses Recht eine Grundlage für erweiterte Rechte bildet: Mitbestimmung innerhalb der Grenzen des Mitgliedsstaates. Die dann nächste Stufe, das Wahlrecht zum Europäischen Parlament, ist bereits gegeben, lediglich die Zwischenstufe fehlt. Da es wenig sinnvoll ist, eines der gegebenen Rechte abzuerkennen, sollte hieraus der Schluss gezogen werden, dass die Europäische Integration den nächsten Schritt vollziehen muss.

Die EU hat zahlreiche Förder- und Maßnahmenprogramme, die sich auf nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens beziehen. Zu den bekanntesten Programmen zählen dabei wohl ERASMUS, das Forschungsrahmenprogramm und die Struktur- und Investitionsfonds. Die meisten Gelder allerdings gehen den Umweg über nationale und regionale Behörden innerhalb der Mitgliedstaaten. Jährliche Berichte sollen garantieren, dass zu jeder Zeit klar ist, wohin Geld fließt. Ob es dann allerdings auch entsprechend und effizient verwendet wird, steht auf einem anderen Blatt.

Weiteres Zusammenwachsen ermöglicht hier also auch die bessere Kontrolle der eingesetzten Gelder. Durch eine zentrale Vergabe im Parlament kann sichergestellt werden, dass Programme und Projekte in der Fläche sinnvoll verteilt werden statt punktuell Hotspots zu fördern. So wäre dann besser nachvollziehbar, ob Projekte lohnenswert und die Gelder effizient eingesetzt sind ohne Gefahr zu laufen, dass es als Verschwendung endet.

Das sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen sollen, warum ein weiteres Zusammenwachsen sinnvoll ist. Daneben ließe sich noch über Aspekte wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik reden, ein einheitliches Bildungssystem, einheitliche Regelungen in der Justiz und wirtschaftliche Aspekte im Bereich Binnen- und Außenhandel. Das aber würde an dieser Stelle zu weit führen und den Rahmen sprengen. Einzelne Aspekte werde ich vielleicht in eigenen Artikeln behandeln.

Wie kann das neue Europa aussehen?

Ein neues, ein weiterentwickeltes Europa bietet vor allem den Bürgern mehr Chance zur Partizipation. Das Europaparlament ist heute zwar direkt von allen EU-Bürgern gewählt, die Möglichkeiten, die es hat, sind aber stark eingeschränkt. Man spricht hier auch vom Demokratiedefizit der EU. Dieses zu überwinden wäre bereits heute sehr wichtig, sorgt es doch nur dafür, dass die Unionsbürger die Verbindung zu den Institutionen verlieren. So könnte etwa analog zur Bundesrepublik Deutschland in einem vereinten Europa das Parlament vom Volk gewählt werden (Bundestag <-> Europaparlament), während zugleich die Mitgliedstaaten oder kleinere Unterteilungen wie Regionen in einem weiteren Gremium, einer zweiten Kammer, als Interessenvertretung fungieren.

Die Wahl der Regierung würde in diesem Beispiel aus dem und durch das Parlament erfolgen. So kann man garantieren, dass die Mehrheit der Abgeordneten die Richtung unterstützt, wodurch Stabilität gewährleistet werden kann (dringend nötig bei Abgeordneten aus fast 30 Nationen). Ob darüber hinaus ein Staatsoberhaupt, ein Europäischer Präsident mit beschränkten Kompetenzen, noch zusätzlich von der Bevölkerung gewählt werden soll, sollte angesichts der logistischen Machbarkeit überprüft werden.

Mit neuen Formalia ausgestattet würde sich natürlich auch die Gesetzgebung verändern. Heute hat allein die Kommission ein Initiativrecht für Gesetze, Rat und Parlament haben keines. Auch das spielt in das Demokratiedefizit hinein. In der Weiterentwicklung läge das Recht, Gesetze auf den Weg zu bringen, bei Regierung und Parlament, die zweite Kammer könnte hier ein Veto einlegen oder mit einem höheren Quorum auch eigene Gesetzesinitiativen einbringen. Das hat natürlich den Hintergrund, dass die Gesetze in den Regionen oder Mitgliedstaaten ihre Wirkung entfalten würden, also müssen auch die Vertreter der entsprechenden Untergliederungen ein Wort mitzureden haben.

Wichtig zu regeln wären in jedem Fall Bei- und Austritte aus diesem weiterentwickelten Europa. Beides würde aber auch an dieser Stelle wieder zu weit führen, zumal Beitritte sicher leichter zu regeln sind als Austritte.

Dennoch ist das nur eine von vielen Möglichkeiten, wie ein weiter zusammenwachsendes Europa aussehen kann. Es ist aber vor allem nichts, was von außen über die bestehenden Strukturen übergestülpt werden kann. Nein, es muss aus dem Innern kommen, im besten Fall von unten aus der Bürgerschaft der Union. Nur so ist gewährleistet, dass alle Reformen und grundlegenden Veränderungen zum Wohle aller geschaffen werden und dass kein Unionsbürger vergessen wird, wo auch immer er oder sie wohnt.

Quellen und weitere Literatur

  • Kreis, Georg: Europakonzeption: Föderalismus, Bundesstaat, Staatenbund, in: Institut für Europäische Geschichte Mainz (Hrsg.): Europäische Geschichte Online, 2012.
  • Pistone, Sergio; Schmuck, Otto: Der Beitrag der Europäischen Föderalisten zum Einigungsprozess, in: Schmuck, Otto (Hrsg.): Die Menschen für Europa gewinnen – Für ein Europa der Bürger, In Memoriam Claus Schöndube, Bad Marienberg 2008, S. 93.-114.
  • Scheub, Ute: Europa. Die unvollendete Demokratie. Eine Vision für die Europäische Union, München 2018.
  • https://www.pdh.eu/programmatik/bundesrepublik-europa/