Es gab in der Geschichte der Menschheit zwei Faktoren, die für Fortschritt gesorgt haben und dabei zusammenspielten: Krieg und Forschung. Es gibt viel zu oft darum, dass man nach Möglichkeiten gesucht hat, sein Gegenüber (den Feind) schneller, effektiver, grausamer, besser zu bekämpfen, zu töten und zu besiegen. Dafür wurden neue Waffen entwickelt, neue Verteidigungsmaßnahmen und perfide andere Dinge. Jetzt im 21. Jahrhundert muss aber Schluss sein damit! Wir müssen anfangen, Forschung anders zu denken, wenn wir den wirklichen Gefahren, etwa dem Klimawandel, trotzen wollen.
Mindestens in Deutschland aber auch in ganz Europa müssen wir das System Wissenschaft überarbeiten, denn es krankt an vielen Ecken und Enden. Die Probleme sind dabei vor allem alle hausgemacht und könnten sich auch genauso leicht beheben. Es mangelt nur am Widerstand einiger weniger Personen oder Institutionen. In den letzten Jahren sind die Stimmen für Veränderung lauter geworden und das ist auch gut so. Die Situation in Deutschland wirkt selbst auf andere Wissenschaftler völlig befremdlich.
▼ Eine kleine Anekdote ▼
Als ich im September 2022 als Teilnehmer und Redner auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Prag war, hatte ich die Gelegenheit mit Prof. Robert Arnott von der University of Oxford zu sprechen. Wie es auf solchen Konferenzen üblich ist, redet man in den Pausen nicht ausschließlich über die Fachvorträge sondern auch über ganz andere Dinge. Und so kamen wir auch auf die Situation der jungen Wissenschaftler in Deutschland zu sprechen. Das gesamte System mit seinen Befristungen, den Strukturen und den Möglichkeiten fast nur als Postdoc oder Professor Fördermittel beantragen zu können kam ihm sehr dubios vor. Leider war die Pause dann aber auch wieder vorbei.
Forschung in Deutschland: Die Probleme
Das in den letzten Jahren wohl prominenteste Problem ist die Arbeitssituation junger Wissenschaftler. Sie hangeln sich von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag und hoffen darauf, dass innerhalb der Zeitspanne, die sie aufgedrückt bekommen haben, irgendwo eine unbefristete Stelle frei wird. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (kurz WissZeitVG) sorgt dafür, dass jungen Menschen die Planungssicherheit genommen wird. Ihre Perspektiven für eine Karriere in der Forschung sind dauerhaft bis zum Erreichen der Professur gefährdet und unsicher.
In allen Arbeitsfeldern außerhalb der Wissenschaft gilt man als fertige Fachkraft, als fertiger Arbeiter. Im Wissenschaftsbetrieb wäre das mit dem Master-Abschluss gleichzusetzen. Danach sollte man als Wissenschaftler gelten, nicht wahr? Nicht so im deutschen Wissenschaftssystem, hier gilt man weiterhin als Nachwuchs bis man die Professur erreicht. Um das noch in einen Kontext zu setzen: „fertig“ ist man außerhalb der Wissenschaft mit spätestens etwa 20/21 Jahren, innerhalb mit 43,2 Jahren (Quelle: https://www.academics.de/ratgeber/professur-deutschland-ueberblick).
Die Gründe dafür liegen im System selbst, das auf professoraler Ebene auf Selbsterhaltung aus ist. Um als Postdoc die erste Professur zu erhalten ist viel Arbeit und ein starkes Netzwerk nötig. Die unbefristeten professoralen Stellen in der Forschung sind begrenzt, die strikte Hierarchie macht es sehr schwer in das System hineinzukommen und darin vorwärts zu kommen. Wäre dabei die Arbeit auf die reine vertragliche Arbeitszeit begrenzt, wäre es vielleicht noch einigermaßen verschmerzbar. Doch leider übersteigt die tatsächliche Arbeitszeit die im Vertrag geregelte um etwa 33 %. Besonders in der Promotionsphase ist das spürbar.
Hier wirkt sich dann die Unsicherheit in der Karriereplanung direkt auf den Lebensstandard aus, denn eine vernünftige Work-Life-Balance ist so kaum möglich. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird deutlich erschwert, was sich wiederum in der Familienplanung niederschlägt. Die Familiengründung findet bei „Nachwuchswissenschaftlern“ deutlich seltener statt als bei gleichaltrigen Hochschulabsolventen außerhalb der Wissenschaft. Gleichzeitig ist der Kinderwunsch durchaus vorhanden, die Realisierbarkeit wird aber durch die genannten Hürden erschwert.
Mangelnde finanzielle Unterstützung macht es überdies schwer, Projekte voranzubringen, die nicht bereits existenten Regularien folgen. Forschung ist teuer, aber die Mittel sind begrenzt. Und das Einwerben von Drittmitteln nimmt mittlerweile so viel Zeit in Anspruch, dass dabei echt Forschung kaum mehr stattfinden kann. Und selbst wenn der Antrag bewilligt wurde, ist es fast schon wieder Zeit für den nächsten – oder zumindest dessen Vorbereitung. Gleichzeitig wird natürlich nicht jeder Antrag auch finanziert: bei der DFG gehen jedes Jahr etwa 13.000 Anträge ein, nur ein Drittel bekommt die Finanzierung (Quelle: https://www.academics.de/ratgeber/projektfinanzierung-wissenschaft).
Selbst bei bewilligten Finanzanträgen kommen einige Probleme auf. So kann es durchaus vorkommen, dass Unternehmen, die Forschung finanzieren, auch die Richtung oder die Ergebnisse beeinflussen wollen. Das ist ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Forschung. Wirtschaftlich gar nicht nutzbare Forschung oder Grundlagenforschung hat es teilweise ebenfalls schwer gefördert zu werden. Dabei ist es sowohl wichtig, Projekte voranzutreiben, die nicht sofort in einem messbaren Wert oder einem neuen Produkt münden, als auch jene Fachbereiche zu fördern, die keinen wirtschaftlichen Mehrwert erzeugen (zumeist Geisteswissenschaften).
Ein Punkt, der sich in den letzten Jahren aber glücklicherweise etwas gebessert hat ist die Interdisziplinarität in der Forschung. Vermehrt kommt es nun dazu, dass Sonderforschungsbereiche, Exzellenzcluster und andere Förderprojekte nicht auf eine Disziplin beschränkt bleiben, sondern mit voller Absicht (und das ist gut so!) über den Tellerrand hinaus schauen und andere Fachbereiche in die Forschungsfragen einbeziehen.
Das hat natürlich den Vorteil, dass Probleme von mehr als einer Seite beleuchtet werden können. Letztlich ist es nämlich so, dass Zusammenhänge oft komplexer und vielschichtiger sind, als es auf den ersten Blick erscheint. Und generell ist es ja auch nicht verkehrt, Probleme von mehreren Seiten zu betrachten, denn so eröffnen sich auch weitere Fragen, die vorher vielleicht im Dunkeln geblieben wären.
Es besteht also Hoffnung. Dennoch müssen Schritte unternommen werden, um das System umzukrempeln. Ein „Weiter so“ kann hier nicht die Optimallösung sein, denn ansonsten wird es über kurz oder lang zum Kollaps kommen. Folgen wären unter anderem ein Qualitätsverlust und ein Brain Drain (also die Abwanderung von Wissenschaftlern und ihrer Forschung ins Ausland) und Das gilt es zu verhindern.
Eine mögliche Zukunft
Stellt sich nun also die Frage, wie die Situation verbessert werden kann. Die oben skizzierten Probleme, die alle in wirklich noch viel komplexer und zahlreicher sind, sind in meinen Augen der Anfang, der gemacht werden muss. Weitergehende Probleme können sich dann mit der Zeit fast von selbst auflösen, es wird aber immer ein bisschen Hilfe von außen benötigt – das hat sich bereits jetzt schon vielfach an der Weigerung einiger Institutionen (etwa Hochschulrektorenkonferenz und Max-Planck-Gesellschaft gezeigt) etwas zu ändern gezeigt.
Dabei wäre es nicht mal so schwierig für bessere Bedingungen zu sorgen. Ein nachhaltig erhöhte Grundfinanzierung der Hochschulen etwa würde es bereits ermöglichen, dass sich weniger Wissenschaftler mit Drittmittelanträgen befassen müssen, denn ihre Stellen könnten unter Umständen entfristet werden. Auch Grundlagenforschung könnte so gesichert werden, wodurch wiederum Folgeprojekte entstehen können, die echte Innovationen hervorbringen. Der Forschungsstandort Deutschland bliebe damit auch wettbewerbsfähig.
Die Karrieren der Wissenschaftler vor der Professur müssen mehr Planungssicherheit erhalten und im besten Fall komplett entfristet werden (das ist aber utopisch). Auch das wäre mit besserer Finanzierung der Hochschulen möglich, ist aber auch unabhängig davon notwendig. Die Vorteile liegen auf der Hand: mit mehr Sicherheit für die eigene Karriere sind Menschen eher dazu in der Lage den Fokus auf die Arbeit als solche zu legen statt sich nach möglichen Alternativen umzusehen. Dabei müssen aber auch Perspektiven aufgezeigt werden, denn ein Fokus auf eine aktuelle Arbeit bringt nichts, wenn darauf nicht aufgebaut werden kann.
Ein bereits heute völlig unsinniges Paradigma der Befristungskultur wird dadurch noch obsoleter als ohnehin schon: Bisher hieß es, dass durch Fluktuation (ermöglicht mittels Befristung) die Innovation gefördert würde. Dieser Satz ist seit Jahrzehnten wieder und wieder hervorgekramt worden. Im Umkehrschluss würde es aber auch bedeuten, dass ohne Fluktuation also auch keine Innovation gegeben wäre, Professoren also völlig un-innovativ wären. An der Stelle wird sicher so manch ein Lehrstuhlinhaber widersprechen wollen, wenn es auch logisch korrekt ist.
Dass es aber eben auch völliger Unsinn ist, wird selten weiter diskutiert, sondern eher totgeschwiegen. Stattdessen ist es eher so, dass Fluktuation eher für Stillstand sorgt. Denn mit einem Wechsel auf einem Arbeitsplatz muss der neue Arbeitnehmer mit vielen Prozessen wieder ganz von vorn anfangen. Das hält den gesamten Betrieb auf, die befristete Vertragslaufzeit wird durch unnötiges Wiederholen von bereits durch Vorgänger Gemachtem unnötig weiter beschnitten. Forschung findet dann kaum statt und am Ende leiden die Ergebnisse.
Auch die Gesellschaft kann und muss ihren Teil dazu beitragen. Das Standing der Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung lässt sich vor allem durch eine Maßnahme langfristig verbessern: Wissenschaftskommunikation. Doch auch hier ist die Finanzierung wieder mitentscheidend, denn ohne die zeitlichen oder finanziellen Freiheiten ist es schlicht nicht möglich, die Öffentlichkeit adäquat über die eigene Forschung zu informieren, das Interesse an der Wissenschaft generell zu steigern und so auch dafür zu sorgen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und evidenzbasierte Entscheidungen weithin akzeptiert werden.
Gleichzeitig müssen aber natürlich auch die Voraussetzungen gegeben sein. Das bedeutet, dass Wissenschaftler auch aus ihren Büros (oder Elfenbeintürmen) heraus wollen müssen. Das geht allerdings auch nur mit der entsprechenden Befähigung. Also muss die Kommunikation von Wissenschaft von Beginn an Teil der Karriere sein. Zu Beginn (im Studium) wird sie erlernt, später angewendet und trainiert, damit sie am Ende perfektioniert werden kann.
Ich habe hier nur an der Oberfläche gekratzt. Das System Wissenschaft hat viele Baustellen, die alle angegangen werden müssen. Einige davon sind dringender als andere, aber die Menschen im System haben Vorrang, denn ohne sie gibt es kein System. Für SIE muss geändert werden, was heute Probleme verursacht. Auch deswegen ist es so wichtig, dass viele junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für Änderungen eintreten und laut werden!
Quellen und weitere Literatur
- Bahr, Amrei; Eichhorn, Kristin; Kubon, Sebastian (Hrsgg.): #95vsWissZeitVG. Prekäre Arbeit in der deutschen Wissenschaft, Kritische Reflexionen 4, Marburg 2021.
- Bahr, Amrei; Einhorn, Kristin; Kubon, Sebastian: #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Berlin 2022.
- Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (Hrsg.): Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021, Bielefeld 2021.
- https://www.pdh.eu/programmatik/wissenschaft-forschung/